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Die Verweigerung der Arbeit in Zeiten der Prekarität

22. August 2017, 10712 Zeichen

An einem gewissen Punkt der menschlichen Geschichte, vor allem in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, nach dem Auftreten einer speziellen Konstellation von Ereignissen, lief das soziale Bewusstsein mit der Techno-Evolution zusammen, so dass es schien, als könnten sich die Kräfte des Bewusstseins von der Falle der Lohnarbeit emanzipieren. Im letzten Jahrtausend hatte das Gesetz des Austausches alle Lebensbereiche tief durchdrungen sowie die Geschichte der industriellen Revolution begleitet. Die menschliche Tätigkeit wurde zunehmend von der Lohnarbeit gefangen genommen.

In den letzten Jahrzehnten des Jahrtausends hat die Entwicklung der kognitiven Tätigkeit im Prozess der vernetzten Kooperation dann erlaubt, in ein neue Gefilde zu blicken: die verknüpfte, intelligente Maschine erschien als eine Kraft der Befreiung der sozialen Aktivität von der Notwendigkeit der Lohnarbeit. Doch die neue Technologie erwies sich nicht per se als in der Lage, die Falle der Lohnarbeit sprengen zu können und transformierte sich am Ende tatsächlich in ein Instrument zur Unterwerfung ebendieser intellektuellen Energie.

Während dem seit den 70er Jahren stattfindenden Übergang von der Vorherrschaft der mechanischen Industrie zur Vorherrschaft der semiotischen Produktion war die Arbeiterbewegung nicht in der Lage, die sich abzeichnende Möglichkeit zu begreifen. Die Gewerkschaften beispielsweise wehrten sich gegen die Einführung der Technologie in den Arbeitsprozess und widmeten ihre Kraft der Verteidigung bestehender Arbeitsplätze, so dass ihr Schicksal an die Konstellation der industriellen Arbeit gefesselt ward, die in diesem Übergang ihre zentrale Funktion verlor.

Die Arbeiterbewegung wurde zu einer Kraft der Erhaltung und die unaufhaltsame transformatorische Kraft der Technologie fungierte als Faktor der Stärkung des Finanzkapitalismus.

Die Techno-Evolution und das soziale Bewusstsein begannen schließlich zu divergieren, so kamen wir in die Ära der Techno-Barbarei: Der Reichtum transformierte sich in Massenelend, die Solidarität wurde in Wettbewerb umgewandelt und das angehängte Gehirn wurde vom Körper abgesondert, während die Macht der Erkenntnis vom sozialen Wohlbefinden abgetrennt wurde.

Dennoch sind die Mächte des General Intellect noch immer präsent, wenn auch versteckt in den Verbindungen des kollektiven Gehirns und in dessen möglichen Neuordnungen.

Diese sind leblos, nicht in der Lage, einen Prozess der Emanzipation in Bewegung zu setzen, weil der Übergang zwischen den menschlichen Körpern prekär und zerbrechlich wurde, während das Zusammenfügen von Gehirnen ohne Körper gestärkt wird, unendlich, besessen und allumfassend geworden ist und schließlich das Leben mit der spektralen Projektion des Lebens auf den allgegenwärtigen Bildschirm ersetzt hat. Dennoch bestehen diese weiter in Form von Erkenntnis und kognitiven Energien, wartend auf eine mögliche Wiederbelebung, die nur ein neuer solidarischer Körper verwirklichen kann.

 

Die Wirkung der Transformation der Mobiltelefonie

Denken wir an die transformatorische Wirkung, welche die Mobiltelefonie auf dem ganzen Planeten ermöglichte, als Steve Jobs 2007 das iPhone präsentierte mit dem Slogan: this will change everything. In weniger als zehn Jahren hat das Smartphone wirklich alles verändert, in der Kommunikation, in der urbanen Mobilität, im Handel und schlussendlich auch im Kognitiven und der Sprache. Die ständige Verfügbarkeit jedes einzelnen Menschen in jedem beliebigen Loch des Planeten (unabhängig von der anthropologischen Mutation und den Pathologien, die das verursachen kann) konstituiert eine immense produktbezogene Innovation, deren Ungeheuerlichkeit wir uns bewusst sein sollten. Trotz der Tatsache, dass das Smartphone nicht dazu beigetragen hat, auch nicht geringfügig den Auswirkungen der Stagnation zu begegnen, hat es zudem verpasst die Dynamik des Wachsums anzukurbeln. Rund um die Verbreitung des Smartphones bildeten sich sehr mächtige Unternehmen, dies steht außer Zweifel, aber der wirtschaftliche Effekt bezüglich der Beschäftigung ist nicht, auch nur annähernd, vergleichbar mit der Einführung des Automobils in der industriellen Produktion des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.

Das bedeutet, dass die wachsende Informatisierung des Produktionsprozesses und die wachsende Intellektualisierung der Arbeitsprozesse die Produktivkraft multiplizieren und einen Beitrag zur Bereicherung der Gesellschaft leisten in Bezug auf den verfügbaren Gebrauchswert, aber den Fall der Profitraten nicht abwenden und dem Wertwachstum keine Energie zurückgeben.

In den letzten Jahrzehnten hat die Produktivkraft ihre Expansion weitergeführt, sich sogar noch beschleunigt und eine weitere Verbreitung als je zuvor erlebt.

Handelt es sich um einen Erfolg des Kapitalismus, wie die Klischees der neoliberalen Ökonomie behaupten? Ganz und gar nicht. Es handelt sich um einen Effekt der kooperativen Tätigkeit von millionen kognitiver Arbeitenden, einen Effekt der Kreativität von Ingenieur*innen, Designer*innen, Philosoph*innen und Künstler*innen. In Bezug auf den Gebrauchswert sind es diejenigen, welche die Innovationen produzierten, die das Leben verändern. Aber wenn wir die Innovation in die Sprache der Wirtschaft übersetzen, die Logik der Wertakkumulation an die Stelle der Expansion von nützlichen Gütern setzen, zeigt sich alles in anderen Farben: Trotz der Erweiterung der Welt der verfügbaren Waren scheint das Wachstum des produzierten Werts gestaut.

Einige glauben, dass der Austritt aus der Epoche des Wachstums bedeutet, in ein Universum der Knappheit einzutreten, die Möglichkeiten des Genusses und des Komforts zu reduzieren. Dem ist nicht so. Das Wachstum ist nicht mit der Erweiterung der Welt möglicher Erfahrung zu identifizieren. Das Konzept des Wachstums ist eine wirtschaftliche Codierung dieses Prozesses.

Wachstum bedeutet Steigerung der Gewinne und des Investitionskapital, es bedeutet nicht den Anstieg materieller oder immaterieller Güter, welche die Möglichkeit von Erfahrung beinhalten.

Und so ist es die wirtschaftliche Codierung, die Verordnung des Wachstums als Modell und als Erwartung, die wie ein Käfig wirkt, der die Möglichkeiten des Genusses der Produkte sozialer Arbeit zügelt.

Im Gegensatz zu einigen Theoretikern, welche die Décroissance als politisches Projekt vorschlagen, denke ich, dass die Décroissance ein kontinuierlicher Prozess ist, der sich aktuell als Erschöpfung zeigt, aber von normativen Erwartungen des kapitalistischen Modells befreit eine Zeit des erlebten Reichtums einläuten kann – und nicht des akkumulierten Werts. Es geht folglich nicht darum, die Décroissance anzuregen: es geht darum, in anderen Kategorien als denjenigen des Kapitals zu semiotisieren, es geht darum, den Prozess der Bereicherung in der Sphäre der Nützlichkeit vom Prozess der Kapitalverwertung zu unterscheiden.

 

Der Begriff des Lohns

Auch der Begriff des Lohns – wie der des Wachstums – scheint unzureichend, um die Beziehung zwischen Arbeitszeit und sozialer Produktion zu beschreiben. Der Beweis dafür liegt in der Tatsache, dass immer mehr Formen unbezahlter Arbeit sich ausbreiten. In einigen Fällen gibt es eine Rückkehr von Sklaverei-Verhältnissen, dies vor allem in Randbereichen der Arbeitswelt, wo die Gewalt das Kommando übernommen hat.

Aber im Herzen der postindustriellen Gesellschaft haben sich Formen der Ausbeutung verbreitet, basierend auf Erpressung, auf Verheißung und auf dem rein symbolischen Austausch.

Die Formen der Ausbeutung unbezahlter Arbeit in der Semio-Produktion sind unzählig: So im unbezahlten Internship, das Arbeitenden in der Forschung, in der Kunst und im Kulturmanagement auferlegt wird, d.h. im Verlangen nach Arbeit im Austausch für formale Anerkennungen die vielleicht zum Schreiben des CV helfen.

Die Verpflichtung unbezahlte Arbeit zu verrichten symbolisiert sicherlich eine Bedingung der Schwäche der Arbeitenden. In Entwicklungs-Begriffen gesprochen, müssen wir aber in der Lage sein, zu verstehen, dass die unbezahlte Arbeit Elemente enthält, die im Rahmen der wachsenden Zusammenhanglosigkeit zwischen kooperativer Aktivität und wirtschaftlicher Codierung verstanden werden müssen.

Die Verbreitung von Formen der unbezahlten Arbeit weist auf zwei Dinge gleichzeitig hin: Auf der einen Seite zeigt die Tatsache, dass die von kognitiv Arbeitenden ausgeführten Aufgaben (im Unterschied zu den ausgeführten Aufgaben in der Industriearbeit) dem eigenen Leben, den eigenen Wünschen nicht völlig fremd sind, dass diese sie tatsächlich auch ernähren. Wir sind daher oft gezwungen, unsere Arbeitszeit zu verkaufen, weil die Arbeit auch unsere erwünschte Aktivität ist und wir die Aktivität nicht ausführen können, ohne dabei die unbezahlte Ausbeutung hinzunehmen.

Zugleich jedoch zeigt die Ausbreitung der Formen nicht-entlohnter Arbeit auf die Tatsache, dass die Messung, welche die Grundlage des Gehalts war, verschwunden ist. Die Entlohnung einer repetitiven Arbeit mechanischen Typs kann leicht auf Basis der geleisteten einheitlichen Zeit errechnet werden. Wenn von der Arbeit der Repetition zur Arbeit der Differenz gegangen wird, ändert sich bezüglich der Messbarkeit alles.

Die Entleerung der Kategorie des Lohns ist in erster Linie ein Effekt des Verschwindens der Messbarkeit der Tätigkeit des Intellekts in kontinuierlichen Variationen in Begriffen des Geldes.
Lohnarbeit und nützliche Tätigkeiten überlappen immer mehr und werden fast zur selben Sache. Bezüglich der Unterwerfung unter die Form des Lohns wird die nützliche Aktivität aber von der Dynamik der Verwertung aufgesaugt und wendet sich am Ende gegen sich selbst.

Ausschlaggebend wird an dieser Stelle die Frage der expectations: Was erwarten wir von der Zukunft anderes, als die deprimierenden Aussichten der möglichen Stagnation, des immer härter werdenden Wettbewerbs und von der immer tiefergehenden Prekarität? Wie können wir die Erwartungen des Möglichen entwirren, die nicht mit dem Wahrscheinlichen überein gehen, die von der Fortsetzung des vorliegenden Modells und den wirtschaftlichen Anforderungen abweichen?

Womöglich geht die Aussicht auf eine Flucht aus der zeitgenössischen Depression einher mit dieser Emanzipation der Lebenserwartung von dem Modell des Wachstums und der Lohnarbeit.

Aus dem Italienischen von Adrian Hanselmann und Michael Grieder

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