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Über den Generalstreik

02. Oktober 2018, 6734 Zeichen

Mariarosa Dalla Costa 1974 über die Möglichkeit eines feministischen Generalstreiks der arbeitenden Klasse.

 

Heute 1, am 10. März 1974, startet die feministische Bewegung in Italien die Kampagne «LÖHNE FÜR HAUSARBEIT». Die Lieder, die Photoausstellung und die Transparente zeigen, dass die Fragen, die wir heute aufbringen, viele sind. Barbarische Zustände bei Abtreibungen; der Sadismus, dem wir unterworfen sind in Geburtshäuser und gynäkologischen Kliniken; unsere Arbeitsbedingungen (in Jobs außerhalb sind unsere Bedingungen immer schlechter als die der Männer, und zuhause arbeiten wir gänzlich ohne Einkommen); der Fakt, dass Sozialleistungen entweder nicht existieren oder so übel sind, dass wir Angst haben, unsere Kinder diese benutzen zu lassen; usw.

An einem gewissen Punkt mögen die Leute sich fragen, was die Verbindung ist zwischen der Kampagne, die wir heute starten, der Kampagne für LÖHNE FÜR HAUSARBEIT und all diesen Dingen die wir heute aufgebracht haben, die wir sichtbar gemacht haben – und gegen die wir kämpfen. All diese Dinge, über die wir gesprochen haben, über die wir Lieder gesungen haben, die wir gezeigt haben in unseren Ausstellungen und Filmen.

Wir glauben, dass die Schwachstelle aller Frauen – die Schwachstelle, die dahinter steht, dass wir aus der Geschichte ausradiert werden, die hinter dem Fakt steht, dass wir, wenn wir das Haus verlassen, den abstoßendsten, unterbezahltesten und unsichersten Jobs gegenüber stehen – dass diese Schwachstelle ihren Grund in der Tatsache hat, dass wir Frauen alle, egal was wir tun, von vornherein erschöpft und aufgebraucht sind durch 13 Stunden Hausarbeit, die niemand jemals anerkannt hat, für die niemand jemals bezahlt hat.

Das ist die Rahmenbedingung, die Frauen zwingt, sich mit schlechten Kindertagesstätten wie dem «Pagliuca», dem «Celestini» oder den «Onmi» zufriedenzustellen. Diese Schwachstelle zwingt uns, eine halbe Million Lire für eine Abtreibung zu bezahlen, was, lasst uns das in aller Deutlichkeit sagen, in jeder Stadt und in jedem Land geschieht. Obendrein riskieren wir dabei Tod und Inhaftierung.

Wir alle verrichten Hausarbeit; es ist das einzige Ding, das alle Frauen gemeinsam haben, es ist die einzige Basis, auf der wir unsere Kraft versammeln können, die Kraft von Millionen von Frauen.

Es ist kein Zufall, dass Reformisten aller Art der Idee unserer Organisation auf Basis der Hausarbeit immer tunlichst ausgewichen sind. Sie haben immer verweigert, die Hausarbeit als Arbeit anzuerkennen, genau weil es die einzige Arbeit ist, die wir Frauen alle gemeinsam haben. Es ist das eine, zwei- oder dreihundert Arbeiterinnen einer Schuhfabrik gegenüberzustehen. Es ist durchaus etwas anderes, Millionen von Hausfrauen gegenüberzustehen. Und da alle Fabrikarbeiterinnen auch Hausfrauen sind, ist es nochmals etwas anderes, diesen zwei- oder dreihundert Fabrikarbeiterinnen vereint mit Millionen von Hausfrauen gegenüberzustehen.

Genau das ist es, was wir heute auf diesem Platz auf die Agenda setzen. Das ist das erste Moment der Organisation. Wir haben beschlossen, uns um die Arbeit herum zu organisieren, die wir alle tun, um gemeinsam die Kraft von Millionen von Frauen zu haben.

Für uns ist die Forderung für LÖHNE FÜR HAUSARBEIT also eine direkte Forderung für Macht, weil Hausarbeit das ist, was Millionen von Frauen verbindet.

Wenn wir uns als Millionen um diese Forderung organisieren können – und bereits jetzt sind es ziemlich viele von uns auf diesem Platz – können wir eine so große Kraft bekommen, dass wir nicht länger in einer Position der Schwäche sein müssen, wenn wir das Haus verlassen. Wir können neue Arbeitsbedingungen bewirken in der Hausarbeit selbst: wenn ich Geld in meiner eigenen Tasche habe, kann ich sogar einen Geschirrspüler kaufen ohne Schuldgefühle und ohne meinen Ehemann monatelang bitten zu müssen, mit dem Ergebnis, dass er, der keinen Abwasch macht, einen Geschirrspüler unnötig findet.

Wenn ich also eigenes Geld habe, in meine eigenen Hände ausbezahlt, kann ich die Bedingungen der Hausarbeit ändern. Darüber hinaus bin ich befähigt, zu entscheiden, ob ich nach draußen und arbeiten gehen will. Wenn ich 120’000 Lire für Hausarbeit bekomme, werde ich mich nie wieder für 60’000 Lire an eine Textilfabrik verkaufen, oder als jemandes Sekretärin, oder als Kassiererin oder Platzanweiserin im Kino. Oder: wenn ich bereits eine bestimmte Menge Geld in den eigenen Händen habe, wenn ich bereits die Macht von Millionen von Frauen mit mir habe, bin ich befähigt, eine völlig neue Qualität von Dienstleistungen, Kinderhorten und Kantinen einzufordern und all die anderen Möglichkeiten, die unverzichtbar sind, um die Arbeitsstunden zu reduzieren und um uns ein soziales Leben zu ermöglichen.

Wir wollen noch etwas anderes sagen. Für lange Zeit – besonders stark in den vergangenen zehn Jahren, aber eigentlich seit jeher – kamen männliche Arbeiter nach draußen, um gegen ihre vielen Arbeitsstunden und für mehr Geld zu kämpfen. Und sie versammelten sich hier auf diesem Platz.

In den Fabriken von Porto Marghera gab es viele Streiks und Kämpfe. Wir erinnern uns gut an die Demonstrationen männlicher Arbeiter, die in Porto Marghera starteten, die Mestre-Brücke überquerten und schließlich hier auf diesem Platz ankamen.

Aber lass uns das klarstellen. Kein Streik war jemals ein Generalstreik. Wenn die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung zuhause in der Küche ist, während die anderen auf dem Streik sind, ist das kein Generalstreik.
Wir haben noch nie einen Generalstreik gesehen. Wir haben nur Männer gesehen, hauptsächlich Männer aus den großen Fabriken, die nach draußen auf die Straßen kamen, während ihre Frauen, Schwestern und Mütter in die Küchen kochen gingen.

Heute auf diesem Platz, mit der Lancierung unserer Mobilisierung für LÖHNE FÜR HAUSARBEIT, setzen wir unsere Arbeitsstunden, unsere Ferien, unsere Streiks und unser Geld auf die Agenda.

Wenn wir eine Kraft erreichen, die uns befähigt, unsere 13 oder mehr täglichen Arbeitsstunden auf acht oder sogar auf weniger als acht zu reduzieren, wenn wir zur gleichen Zeit unsere Ferien auf die Agenda setzen können – weil es kein Geheimnis für niemanden ist, dass Frauen an Sonntagen und während den Ferien niemals frei haben – dann könnten wir, vielleicht, zum ersten Mal von einem «General-»Streik der arbeitenden Klasse sprechen.

 

Aus dem Englischen von Caroline Ann Baur, Vanessà Heer und Michael Grieder

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Das Original wurde publiziert in: All Work and No Pay: Housework and the Wages Due, Falling Wall Press 1975. Es ist der Schlussteil der von Dalla Costa gehaltenen Rede am 10. März 1974 während des vom Triveneto Komitee für LÖHNE FÜR HAUSARBEIT organisierten Aktionswochenendes zur Feier des Internationalen Frauentages und zum Start der Kampagne LÖHNE FÜR HAUSARBEIT in Italien.