Die Welt ist feige, die Mütter nicht
«Niemand hat so gut gelebt wie wir – wir, wir haben es uns gut gehen lassen. Wir haben gelebt wie die Könige» hallt es in meinen Ohren – lieber wär ich tot. Lieber wär ich all diese Zeit tot gewesen.
Nun, nicht eine ganze süsse Lebenszeit, nicht eine halbe hat es gedauert, mir eingestehen zu müssen, dass kein Mann an meiner Stelle diese Aussage hätte machen müssen. Niemand der keine Frau ist, hätte in einer solchen Situation das Gefühl gehabt, Verantwortung für die Übeltaten eines erwachsenen Menschen übernehmen, dafür büssen und sich dafür opfern zu müssen. Dass ich auf dieses Leben lieber verzichtet hätte, als es durchmachen zu müssen, sage ich so ganz ohne, dass sich meine Kehle zuschnürt, ohne dass mein Herz springt – das ist schlecht. Es steht schlecht um uns. Sehr schlecht. Zu gerne würde ich mich apokalyptischen Gedanken hingeben, mich von einem kalten, geruch- und geräuschlosen schwarzen Loch einsaugen lassen – und trotzdem kann ich nicht. Denn es gehört nicht zu mir, es ist kein Teil von mir, es wurde nur für mich gebaut. Es ist noch nicht zu Ende – ich bin noch nicht fertig mit dieser Welt. Ich muss meine Mutter retten. Wir müssen unsere Mütter retten. Das sind wir ihnen schuldig. Wir hatten Glück im Unglück, dass sie es waren, die uns erzogen haben. Ich kenne den Vater nicht. Die meisten kennen die Väter nicht. Ich bin froh, auch wenn ich traurig bin, dass ich erleichtert bin. Ich möchte nicht ein Teil davon sein, ich möchte nicht die Welt vertreten die zur Hälfte in meiner DNA schwimmt – oder besser, klebt. Ich wünsche mir andere Väter und auch unsere Mütter wünschen sich andere Väter ihrer Kinder. Der Kinder und des Selbst wegen. Und von den Königen will ich erst recht nichts wissen. Ich will keine Könige in Hauspantoffeln, die ihre Frauen schlagen und belehren. Die Väter müssen sich verabschieden, grässliche Könige der patriarchalen Gesamtstruktur zu sein. Wir wollen euch nicht mehr. Auch wenn sie es nicht gemerkt haben, wir haben sie nie gebraucht. Sie haben nur uns gebraucht. Sie gehen davon aus, wir würden ihnen simultan zum Korkenzieher bis in alle Ewigkeit zur Verfügung stehen. Für den Profit, die sauberen Morgenmäntel, die polierten Schuhe und den vollen Teller und den Wein. Ihr wärt besser verhungert, als frisch gestärkt und besoffen die Mütter zu demütigen und öffentlich zu denunzieren. Alle schauen, schauten und haben stets weggeschaut. Die Welt ist feige, die Mütter nicht. Die alten Kämpferinnen sind müde geworden – sie mögen nichts mehr für ihre Genossinnen tun, haben sich mit ihren den Lebensalltag bestimmenden depressiven und bösartigen Männern abgefunden und von deren Diktat bestimmen lassen. Die Herzen und die Stirnen bluten weiter, die Augen schwellen in allen Farben und die Knochen brechen leise und im Dunkeln. Institutionen, Staat und ähnliches starren hindurch, bis das leise Wimmern nicht mehr zu hören ist. Es kommt ein neuer Tag, ein neuer Start. Alles wird gut. Wir müssen unsere Mütter retten.
Ich möchte mir von Studenten, die ihren Vaterschaftsurlaub zur Fortbildung einsetzen, nicht im Plenum erklären lassen müssen, Frauenbewegungen hatten und hätten keine klare Ziele, weil Frauen im Gegensatz zu Männern nur aufgrund von Gefühlen Politik zu machen wünschten. Ich ekle mich vor den Professoren, die ohne zu Zucken durchwinken. Auch Professoren sind Väter. Auch wenn sie mehr Bücher gelesen haben, dürfen wir als weibliche Wesen andere Meinungen haben und darauf bestehen, dass normale körperliche Abstände eingehalten werde. Ich möchte mir vom Geschäftsinhaber nicht erklären lassen, die Angestellte, jünger als das eigene Kind, sähen besser aus, wenn die Blusen zu klein sind. Ich möchte meine Ohren schützen und andere Zungen abschneiden. Ich möchte mir von geistig frühpensionierten Chauvinisten am Arbeitsplatz nicht eintrichtern lassen, die Arbeit könnte auch gut sein, wenn man doch nur das tun würde, was sie vor geschätzten hundert Jahren gelernt haben. Trainierte Hirnzellen junger Frauen sind die Mütter unserer Zeit. Manchmal kochen sie, ansonsten sind sie still. Eigentlich möchten sie sich nicht die Eigenwilligkeit und den Mut nehmen lassen und sie schämen sich dafür, mundtot und dann tatsächlich mundtot gemacht zu werden. Sie möchten schreien und toben um sich anschliessend dafür schlecht zu fühlen. Bis sie gar nichts mehr fühlen. Sie möchten nicht vom schwarzen Loch aufgesogen werden, das das System eigens für sie aufgestellt hat. «Alles wird euch geboten – nie seid ihr zufrieden» – es schallt so heuchlerisch und konstant wie das Leuten der Kirchenglocken. Weiblichkeit ist leicht zufriedenzustellen, am besten mit Kohle – verdient von schwer arbeitenden Männer, die sich eigens für das verkrüppelte Familienglück, für eine diskriminierende und überholte Idee Tag und Nacht von Verpflichtungen entlasten. Dankbarkeit muss den Märtyrer entgegengebracht werden, obwohl nie wer darum gebeten. Unsere Existenz ist allein dadurch gesichert – ein Alltag der Hölle, sieben Messer und eine unbezahlte Arbeit im Rücken, ein Kind im Arm und eine Faust im Gesicht. Aber meine Zeit steht nicht zum Verkauf. Wir mögen unsere Väter nicht und wollen nicht mehr unsere Mütter sein. Die Töchter kämpfen dafür, dass die Söhne nicht die Söhne ihrer Väter sind. Ich möchte nicht schweigen und mich von der Welt paternalisieren lassen. Ich wünsche mir lieber leben zu wollen, als nicht zu sein. Ich bin noch nicht fertig mit dieser Welt.