Kunst als Wille und Besäufnis
Präludium: Schöner wäre der Titel «mäandern mit Kunst», doch wäre dies eine allzu zielgerichtete Setzung, welche die notwendige Untersuchung und Verhandlung eines so dermaßen unklaren Konzepts im Sinne einer Vorverurteilung verunmöglicht. Anders gesagt, klar ist bis hierhin nur die Unumgehbarkeit der Suche; ein «Kunst-Mäander» wäre deren vorzügliches Ergebnis, wobei ich nicht wage, dieses vorauszusetzen oder zu bluffen, es sei problemlos möglich, das erreichen zu können.
Erwischt man am Pokertisch das schneeweiß-zugepuderte Gegenüber bei einer ungewollt bemerkbar gewordenen Selbstüberhöhung, gewinnt man die Runde, und erhöht möglicherweise durch das kleine entdeckte Geheimnis die Chancen darauf, mehr als den getätigten Einsatz mit nach Hause nehmen zu können, drastisch. Wechselt man die Szenerie, und traut sich vom Casino ins Kunstfeld, muss man nicht zwingender-weise das angewöhnte Konsumverhalten verändern, jedoch folgende Differenz bei aller Gemeinsamkeit dringend bedenken: Auch hier wird geblufft, doch empfiehlt es sich, noch mit einem Royal Straight Flush unter der Hand liegend, eher den Rüssel ellentief in die nächste Waschmittelpackung zu rammen, als den Zirkus mit einer ungefragten Wahrheitsperformance zu entblößen. So um die erste Schlaufe geschwankt, können, da man zumindest theoretisch nicht mehr sichtbar ist, die Grinsmuskeln entspannt werden, um dem angenehmeren kindlichen Staunen Platz zu machen, dass man noch kurz zuvor verzogen mit dem Prädikat «dümmlich» ausgestattet hätte.
Diese selbstverständlich ihrerseits etwas unbeholfene Bezeichnung käme daher, dass geeignete Worte fehlen, um die latente Überforderung der plötzlich auftretenden Freude anders als geschwollen und altklug zu artikulieren. Emotionen von Fötus-will-wachsen zu Körper-will-raus über Strampelzoo und Nuckelflasche hinzu Scheiß-Welt-lass-mich-nach-Hause fächern sich auf und eignen sich nicht besonders, eine gescheit-wirkende Äußerung damit zu unterbauen. Unentschieden bleibt dabei, ob Wohlgefühl oder Horror überwiegen. Kaum bestreiten kann man das Bedürfnis, oder mehr noch die Relevanz von solchen Traumsequenzen, die einem weder Lohnarbeitswelt noch Netflix-Marathons noch Sachbuchlektüren oder Tresenabende ausreichend ersetzen können. Die Ödnis des Großstadtdaseins und Tödlichkeit des Landlebens bringen gleichermaßen existenzielle Fragen auf, welche niemals buchhalterisch kontiert werden können, wobei Prozesse der Rezeption, Produktion und Invention dessen, was von Leuten Kunst genannt wird, diese affirmieren, relativieren oder ventilieren können. Ein Verlangen also, dass prinzipiell seine Berechtigung hat. Differenziert werden kann das später.
Wie zwischen Kollektivsitzung, Akutpsychiatrie und Großbaustelle rät es sich jedoch auch hier, Bedürfnisse in aller möglichen Deutlichkeit zu benennen. Der eingeschworene Konsens, geheimbündlerisch von «Kunst» zu sprechen, wenn eigentlich etwas Notdurft-ähnliches, universell Verständliches gemeint ist, und dabei noch alle nicht Eingeweihten raten zu lassen und damit abzukanzeln, könnte axiomatisch wie folgt auf den Punkt gebracht werden: ‹Je eher ich heimlich scheißen muss, desto schöner bin ich Mensch als Du›.
Um empfindlicheren Gemütern damit entgegenzukommen, wird im Spital-Sprech von Stuhlgang gesprochen, doch würde das keimfreie Dispositiv deutlich an Gemütlichkeit verlieren, wenn man statt vom Stuhlen plötzlich von einem Verlangen nach artifizieller Betätigung zu reden beginnen würde. Das Strampeln im Mutterleib bleibt auf sprachlicher Ebene unverstanden, ein zweckfremdes Wort wirkt hierbei eher als Leerstelle denn als Synonym. Ein kräftiger, unvermittelt die Raumluft beeinträchtigender Wind könnte als nonverbale Diskussionsbasis den bemitleidenswerten, damit Angesprochenen ein (zwar ebenfalls nicht leicht fassbares, jedoch) sehr viel deutlicheres Gleichnis zum Explosionsvermögen des unterdrückten Drangs abliefern.
Nun verhält es sich so, dass in Lohnarbeitskreisen Lebensentwürfe herumgereicht werden, welche sich zum eignen Potential gewissermaßen suboptimal verhalten. Weder der Idee von qualitativ hochwertiger Produktion noch der biopolitischen Ideologie, Gesundheit wichtig zu finden, kommt man entgegen, wenn von mir erwartet wird, morgens vor halb zehn mit nicht ungefährlichen Geräten die Wege meiner Mitmenschen oder meiner selbst zu queren, auch dann, wenn der gewerkschaftliche Normalarbeitstag mir als hehre Errungenschaft meines Großpapas verkauft wird. Vom fatalen Fehlen einer institutionalisierten Siesta zwischen zwölf und drei, wie von der häretischen Ignoranz gegenüber der grünen Pastisstunde zwischen sechs und neun sei damit noch gar nicht gesprochen. Diese Problematik wurde von den Chefideologen der zeitgemäßen Produktionsweise in Ansätzen verstanden, wobei es einem inzwischen frei steht, bei aller Selbstliebe und ohne den gesellschaftlichen Ruf einzubüßen, sich der nomadischen Transnationalen anzuschließen und Künstler*in rufen zu lassen. And then what.
Man hat also Namen und Etikett gefunden für Handwerker*innen, Werbemenschen und andere böhmischen Vögel, welche eingesehen haben, dass Präsenzzeitdiktatur und Disziplinplagen kaum die idealen Mittel sind, um sie morgens zu einem vernünftigen Beitrag an der Gesellschaft zu bewegen. Dass diese Arbeits- und Lebensweise mit den postfordistischen Transformationen der Produktionsweise vermehrt den Bodensatz der Öffentlichkeit ausmacht, beziehungsweise, dass der Neoliberalismus eher die ambivalenten und dadurch flexibleren Bohémien*nes und Lumpen auszunutzen geruht, als auf eingebildete Monojobbende zu bauen, welche um halbfünf davonrennen wollen, wird mit der Bezeichnung «Kunstschaffende» verniedlicht. Kommt noch dazu, dass durch diese Übergeneralisierung die Gruppen einander den Titel abspenstig machen wollen, und mit solcher Fragmentierung die gemeinsame Prekarität gegenseitig ins Lachhafte ziehen. Auch hier; ein äußerst heterogen arbeitendes – oder eben weniger arbeitendes – Prekariat muss beim Namen genannt werden, sonst meint man, des Anderen Misere einfühlsam mit «schön» beschreiben zu dürfen.
Ein weiterer Schwank mit Kunst führt einen unweigerlich in Gefilde, wo Gelaber «Diskurs», Onanie «Performance» und besetzen «bespielen» heisst. Statt praktischen Bierbechern werden da Schaumweintulpen herumgeschoben, die musikalische Untermalung ist noch mieser als in der Eckkneipe und die ganze Übung wird statt auf brüchigen Barstühlen flott im Stehen durchexerziert. Die Stimmung ist dementsprechend auch weniger kollektiv trübselig als individuell fickrig. Bakterienumschlagplätze wie Erdnussschalen werden durch Buffets von zusammenhangslosen, Noblesse suggerierenden, teilweise essbaren Dingen ersetzt, welche knapp groß genug sind, sie zwischen die Beißer zu werfen und daneben noch einen Kommentar wie «Prozess» oder «Œuvre» vorbeizuschieben. Praktischerweise ziehen solche Happenings dermaßen viele Yuppies an, dass keine mehr für andere Absteigen übrig bleiben. Unvorteilhaft allerdings, wenn man zwischen solchen Ansammlungen die Ruhe finden will, sich nutzbringend mit etwas Ausgestellten, Aufgeführten oder sonst-wie Geisterhaften auseinanderzusetzen.
Angeteigt werden derartige Aktivitäten oft von besonders sesshaften Lokalpatriot*innen, welche dies zum Anlass nehmen, die als Internet bekannte translokale Jauchegrube mit geisterhaften P.R.-Texten zuzumüllen. Eine maximal dichte Anhäufung von ehemals philosophischen Konzepten fungiert dabei als Filter, um den einen Doofen Zugehörigkeit und den anderen Dummen Ausschluss zu signalisieren. Um misanthropischer denkenden Zeitgenoss*innen entgegenzukommen, werden zu deren Amusement diese Codes dann auch tatsächlich bei ernst aussehenden Gesprächen herumgereicht, bei welchen es wichtig ist, dabeizustehen und das Interesse durch einen Gesichtsausdruck zwischen Leichenschauhaus und Blick-in-die-Ferne-Che-Guevara zu bekunden. Vor dem Heraufkommen einer dem fehlenden Inhalt verschuldeten Ad-hoc-Fluchtirade soll zwingend gewarnt werden, die Gruppe würde sich augenblicklich deterritorialisieren um einen künftig zu meiden wie den schwefeligen Leibhaftigen. Selbstverständlich kann auch diese Erkenntnis invertiert und damit produktiv gemacht werden: ‹Wo man keift, da lass dich nieder, böse Menschen sind meist ziemlich bieder›.
Ohne groß schielen zu müssen, ziemlich ruhig um die nächste Schlaufe schippernd, begegnet man der nächsten Ungeheuerlichkeit. Ähnlich der Soziologie eines wohlgemeinten Besäufnisses, liegt auch im Kunstfeld die latente Gefahr der kippenden Stimmung. Verbringt man längeren Zeitraum schweigend, sabbernd oder Nonsens vortragend (also in einer verteufelt intimen Situation) mit der selben Gruppe von Leuten, muss man nicht einmal beginnen sich gegenseitig anzukotzen, dass für Außenstehende das Gesamtbild transformiert: eine paradoxe Szene höchsten Ausmaßes. Sucht man in der Öffentlichkeit nach der billigen Geborgenheit dessen, was bürgerliche Kleingeister «Privatsphäre» nennen, hat dies den Effekt, dass Privates nach außen gekehrt wird. Im Allgemeinen liegt die Wirkung hiervon in der selben Mischung von Faszination und Überfluss, wie wenn man sich Politiker beim Sex vorstellt (um Götz Widmann zu paraphrasieren). Eine Fluchtlinie zu ziehen könnte bedeuten, eine prächtige Kackwurst auf den Gerichtstisch zu legen, doch behält sich die Kunstwelt vor, den Teufel zu diskursivieren, statt ihn fröhlich rauszulassen. Der νομός der Kunst liegt gerade darin, ihn ἄνομος zu nennen und dessen scheinbare Unreinheit zu loben.
Nicht solcherart kynisch, doch mit vergleichbaren Pointen, arbeiten tiefernste Humoristen wie Isaac Julien, Hans Haake und Okwui Enwezor. Weniger koprophag als vielmehr befruchtend schaffen sie das Unmögliche: Ihre Kunst fickt Kunst. Dies erinnert unweigerlich an die von Deleuze beschriebenen Vorlieben im Umgang mit dem ollen Kant. Nicht Metakunst ist das Ergebnis, sondern Befriedigung, Vermehrung und dadurch eher Aufladung als Entladung. Und doch reden wir von Kunst: eine wahrlich erfreuliche Geschichte.
Ein jeder Journalistenschüler vermeint hingegen, seinen Widerwillen deutlich anzeigen zu müssen, wenn zufälligerweise von «Konzeptkunst» gesprochen wird. Für solche Gymnasiastenlümmel sind das äußerst intensive Momente; die geballte Ladung Großvater kommt hoch, und in einem Sturm von habituell bedingten Emotionen kann wieder einmal so richtig behauptet werden, ohne auch nur für zwei Milligramm vorgängig denken zu müssen. Der Alb der toten Alten trägt jedenfalls einige Verantwortung für Neunmalschlauheiten dieser Art, doch liegt dem fragwürdigen Ressentiment ein Missverständnis bei: Es macht nicht allzu viel Sinn, Kunsthandwerk und Konzeptkunst unter dem selben Dach oder Wort zu verhandeln (außer im Sinne einer Ästhetik der Existenz welche wie aufgezeigt, nicht unbedingt «Kunst» genannt werden müsste). Soll der Dorfbewohnende Kühe malen und Hipsters etwas Knorkes basteln, hat doch ein anthroposophisches Landschaftsaquarell genauso seine Berechtigung wie Künstlerscheisse-in-Dose-verpackt. Doch ist es wirklich sinnvoll; Kritik und Beschäftigungstherapie, Humor, Modebrunz, Esoterikpampe und Poesie, mit ein und demselben Namen zu nennen, mit welchem man nebenbei genauso gut Sinnlosigkeit, Luxus oder (etwas grausiger noch) einfach Unnatürlichkeit assoziieren könnte?
Trotz alldem entschuldigt diese begriffliche Konfusion nicht, was sowohl der polemischen Besserwisserei, als auch der Verwechslung mit handwerklichen Kunstbegriffen innewohnen kann, jedoch deutlich darüber hinausgeht: ein gewisser Intellektuellenhass jedweder Couleur erschöpft sich nicht in Kunstfragen, doch sind insbesondere die zeitgenössischen Kunstformen diesbezüglich zum Symbol in einem Stellvertreterkrieg geworden.
Von der Postmoderne und damit einhergehenden verständlichen Verunsicherungen sei noch gar nicht gesprochen, erfreut sich ein hasenfüßiges nicht-denken-Wollen breiter Beliebtheit. Gerade auf der Käse-und-Röshti-Insel gehört es längst zum guten Ton, auf pseudoberglerische Art zu kalauern, um ja nicht in den Verdacht jener Feinsinnigkeit zu geraten, die eher Leuten anhaftet, die das Träumen noch nicht verlernt haben. ‹Hier wird noch gemordsbügelt!›, sagen die Bonzen, um sich vor dem Rest der Welt nicht zu schämen. Unverdächtig ist die Atmosphäre auf so ’nem Schützenfest; in Glied und Ordnung wird da gebierbänkelt, «Natur» und «Realität» als angesoffene Kronzeuginnen, hantiert wird mit dem Holzhammer, nur gedacht wird damit weniger.
Nun könnte man, um diese Attacken zu kontern, auf die Intelligenzija hoffen, wäre diese nicht mit Spiegelfechten und anderen inzestuösen Praxen beschäftigt. Aufklärung und Kritik sind nur Stichworte des journalistisch und universitären Unvermögens im gesellschaftlichen Raum so etwas wie Relevanz (verstanden als Schwelle zwischen Intellekt und Existenz) zu vermitteln. Vielleicht nichts anderem als der Katastrophe «Wittgenstein» verschuldet, obliegen diverse kritische Praxen des Denkens, welche der sakrosankten Universität in solch‘ pöbelhaftem Umfeld zu peinlich wurden, plötzlich der Kunst. Für die Künste ist dies nicht weiters tragisch, wo die Philosophie beginnt zu schweigen, beginnen sie erst recht zu leben. Diese Erweiterung des Kunstfeldes gebiert allerdings auch ziemlich schräge Vögel. So ist ein herbeigezerrter «Realismus» eines Milo Rau im Grunde nichts weiter, als «geschrieben und nicht so gut gedacht», – und dann «praktiziert und nicht so gut gemacht».
Diese Gefahr droht der Kunst stetig; kann die Theoretisierung der Kunst klugschwatzende Hohlköpfe verursachen, lauern durch das Praxisdiktat dem Theoretischen effekthascherische Nichtsnutze auf. So befremdlich das sein kann – hat ein jeder dieser Windbeutel noch den Anspruch, den heiligen Gral der Sinnlichkeit gefunden zu haben – ist doch diese Hybridisierung eine nicht zu verpassende Chance, (zufälligerweise unter der Flagge Kunst segelnd) mit dem Intellektuellen an völlig neue Orte der Auseinandersetzung zu gelangen. Umgekehrt kommt so die Kunst fraglos über das beneidete Kindliche hinaus, und erhebt berechtigterweise den Anspruch nach Wissenschaftlichkeit. Dieser wunderbare Fächer an Möglichkeiten im Medialen mit Backlash ins Denkbare könnte man nun erweiterte Philosophie oder Wissenschaft nennen, da es durchaus einer Liebe zur Weisheit oder Wissensarbeit entspräche, doch nennt man es, wie man alles in Zweifelsfällen nennt, nämlich «Kunst» – blöderweise ohne dem geneigten Opfer vorgängig zu erklären, dass dabei eine Erweiterung im Spiel ist.
Die Polemik ist also vorprogrammiert und somit langweilig. Genauso bescheuert wäre es allerdings, die so gar nicht schicke Anfeindung nobel als unwürdig abzutun. Denn: solch eine Geste zementiert den Verdacht, dass der Elfenbeinturm von der Außenwelt weggeschlossen wurde und dessen Insassen darin aufgehen, sich selbst zu gefallen. Nasenrümpfer und Gehüstel bei Jazz- und heute vielleicht Rapmusik sind eher ungeeignet, die eigene Bildung und Aufgeklärtheit glaubhaft zum Ausdruck zu bringen. Populär- und Hochkulturdiskurse scheitern in den musikalischen Künsten allerspätestens an dem weitest-verbreiteten und zugänglichsten aller Instrumente: der Stimme. Und darüber kann man von Chavela Vargas mehr lernen als von Adorno. Überhaupt wurde im Nuevo Canción Latinoamericano eine künstlerische Waffe gefunden, welche gesellschaftlich fast alle Regionen erreichen kann, und dabei keineswegs affirmierend wirkt. Im Gegenteil: dessen politisches Vermögen, d.h. dessen Gefährlichkeit für die rechtspolitischen Reichen fand eine tragische Bestätigung an dem gefolterten und schliesslich exekutierten Körper Victor Jara’s. Auch Rap oder Reggae haben punkto revolutionärer Anrufung deutlich mehr Potential als die sogenannte Neue Musik.
Doch auch hierin gehen die Vorlieben auseinander. Für eine ist die Verschmelzung von Kunst und Politischem das höchste, für andere unbedingt zu vermeiden. Betonen erstere die Relevanz künstlerischer Interventionen im Feld des Politischen, pochen zweitere auf die Autonomie; fordern die einen, dass «Kunst» aufhört sich abzukapseln, fürchten die anderen deren Entzauberung durch den Einfluss des Profanen. Es gilt sowohl-als-auch statt entweder-oder, sind beide Wünsche gleichermassen naiv und berechtigt, und beide Einwände bedenkenswert und doof. Kunst ist als Wort wie traktierbare Knetmasse und in der Reaktion doch ein gasförmiges Chaos.
Dann wären noch die Institutionen. Und damit einhergehend den vermeintlich besten und umfassendsten und funktionierendsten aller möglichen Kunstbegriffe. Derjenige nämlich, der in etwa sagt, dass alles als Kunst gelten kann, was von einer autorisierten Person dafür gehalten wird oder zumindest dafür in Betracht gezogen wurde. Allerdings hilft dieser Kniff, eine halbwegs eindeutige Kunstsoziologie darauf zu bauen, was sowohl nützlich als auch bewundernswert ist. Andererseits ist das nichts weiter als eine polizeiliche Rasterung des Raumes, die Ignoranz gegenüber Nomadischem ist also beabsichtigt. Trotzdem ist man versucht zu sagen: die Kunst wird Wege und Lücken finden.
Damit ist man dem Phänomen Kunst relativ nahe: wüsste man es nicht besser, man würde sie «Leben» nennen. Sie ist messbar und unmöglich zu berechnen, herausfordernd und öde, Übelkeit erregend und betörend, Utopie und Elend. Sie kann wie Blumen und Unkraut durch Stein gehen, und doch nur an der Oberfläche bleiben: wie hoffnungsvolle Knastbewohnende die Wand aufscheuernd, ein Unterstufenfingernagel Schiefer schleifend und Narziss über den Spiegel streichelnd. Fliehend, kämpfend, verharrend oder in den Schlaf wiegend hat Kunst wohl das verfluchte Potential, die tollste Sache der Welt zu sein. Da sie alles andere genauso gut kann, macht es überhaupt Sinn, sie bei einem, heillos mehrdeutigen Namen zu nennen?