Fratzen der Kunst
«Ich sah eine Lüsterne, nackt und entfleischt, rot von ekligen Schwären, Schlangen frassen an ihrem Leib, daneben ein trommelbäuchiger Satyr mit pelzigen Greifenklauen und einer obszönen Fratze, die ihre eigene Verdammnis hinausschrie; und ich sah einen Habsüchtigen, starr in der Starre des Todes auf seinem prunkvollen Lotterbett, nun feige Beute einer Schar von Dämonen, deren einer ihm aus dem röchelnden Mund die Seele zog, sie hatte die Form eines kleinen Kindes (Wehe, nie wird es für ihn eine Auferstehung zum ewigen Leben geben!); und ich sah einen Hoffärtigen, dem ein Alp auf der Schulter hockte und mit spitzigen Krallen die Augen auskratzte, und ich sah noch mehr Dämonen, ziegenköpfige, löwenmähnige, panthermäulige, gefangen in einem Flammenwald, dessen Brandgeruch ich fast zu riechen meinte.» (Umberto Eco, Der Name der Rose)
Die Kritik an einem Kunstmarkt, der Künstlerinnen hervorbringt, die à la Business-Punk, Kunst als Innovationsmotor verkaufen findet überall grauenhafte Fratzen. Die Markt-Hörigkeit, welche ganze Produktions-Segmente hervorbringt, die sich gegenseitig auf die Schulter klopfen, von den Galeristinnen, zu den Kuratorinnen, Mäzeninnen, Politikerinnen (auf Imagetransfer), gewinnoptimierende Kunstindexe und mittendrin die unkritischen Künstlerinnen. Alles wird vernünftig, schön polemisch runtergeputzt. Das trifft auf offene Ohren. So wie das jüngst erschienene Buch «Le Suicide Française» von Eric Zemmour, der über die linken Wischiwaschi-Kunstheinis herzieht. Da merkt der kulturpessimistische, Kritiker-Gut-Mensch, in welche Kerbe er schlägt. Mit der nietzscheanischen Frage nach dem «Wer?» und der Genealogie der Fratze lässt sich eine solche Kritik an der Kunst besser angehen, als in konservativen Polemik-Zelebrationen. Fratzen tauchen im Sprachgebrauch bei Luther auf, er zeigt damit auf verzerrte, hässliche Gesichter, ausgehend von «Possen, nach dem ausgelassenen Treiben in den Schenken». Das Unkontrollierbare, Dunkle, Untergründige schwingt mit, in der von den damaligen Schenken berauschten Beschreibung des Rausches. Die vieldeutige Symbolik des Anderen und des Angsteinflössenden, Ungeheuren zwischen Rausch und Wahnsinn. Umberto Eccos christliche Figuren treffen in der Folge auf ein unendliches Bestiarium an Fratzen und Dämonen-Gesichter, die sie in ihrem Glauben prüfen sollen. Die grosse Angst durchzieht die Erfahrung mit diesem dämonischen Gegenüber. Fest an die Glaubenssprüche geklammert schaffen sie den Weg, der gesäumt ist von diesen Biestern der Unterwelt. Doch es ist nicht das böse, das Angst macht, sondern die Verführung, derer es sich zu widersetzen gilt. Das Licht, der Gott, Jesus als Gegenbilder zur hässlichen, dämonischen Fratze der Verführung, zwischen Schmerz und Wonne. Folgt man den Fratzen weiter in eine heutige journalistische Rezeption der Kunst oder eine politische Kritik ist die Betonung weiterhin auf das Fremde, das Dämonische, Sprunghafte, das die Vernunft und die Verfechter des metaphysischen Subjekts in Angst und Schrecken versetzt. Die Jahrhunderte währende Unterdrückung des Wahnsinns durch die Vernunft trifft hier auf sein kleines Bühnenspiel zwischen Masken, Verkleidungen und dem rauschhaften Dämon als Bösewicht mit Fratze. Und genau hier entsteht eine nutzbare Spannung des Widerstands gegen die neoliberale Bürgerlichkeit mit ihren klaren Bahnen und Formen. Dämonische Furchen können die Territorien verschieben, sprunghaft, unkontrollierbar. Die in die Form gezwungenen Subjekt-Gesichter sollen zu Fratzen werden, zum unbestimmbaren, beweglichen, das Gesicht verlieren.
Doch es gibt auch noch einen anderen Weg sich der Fratze der Kunst zu nähern: Kunst als Techne eingeschrieben in die kapitalistische Produktionsweise. Yann Moulier-Boutang antwortet auf die Frage nach dem, was die Künstlerinnen den heutigen postfordistischen Produktionsweisen als Bedeutung zukäme, dass sie in Commons die Werteverteilung verbessern könnten. Indem Sie der Krise der immateriellen Arbeit entgegentreten und jede Wissenarbeiterin ihren gerechten Teil erhält, nicht mehr das Monster AGA. Ein marxistisches Prinzip, das nach der Formierung der Arbeiterinnen verlangt. Die Commons erinnern nicht zufällig an Lenins Sowjets. Natürlich kritisiert Moulier-Boutang die leninistische Form des Gewalt und des Zwangs um die Revolution in Gang zu setzen. Und doch scheint mir dieses Bild des Widerstands für eine Produktionsweise, die sich durch ihre Vielheit auszeichnet, zu einfach. Er reiht sich ein in eine, ich möchte sie nach Foucault strategisch nennen, marxistische Tradition die sich auf eine avantgardistische Vorreiter-Rolle bezieht. Man könnte in einem solchen Diskurs Badiou, Zizek und Mouffe in eine solche Position einander annähern. Der Glaube an Vorreiter beschäftigt Badiou mit seinem Begriff von Heroic, Zizek packt Lenin wieder aus und Mouffe fordert den Stellungskrieg. Alles Formen des Widerstands, die ein Wissen voraussetzt, das ein Ziel anpeilt. Auch wenn dies sich im Laufe des Prozesses anpassen kann, so gibt es doch eine Avantgarde, die als Prototyp Breschen schlägt und die Wellen der Veränderung anstösst. Demgegenüber würde ich (auch frei nach Foucault) die taktische Basis positionieren. Mit dabei poststrukturale Denker und teilweise nicht weniger marxistisch: Virno, Raunig oder Deleuze. Das Bild dazu liefert die Occupy-Bewegung, ohne konkrete Zielsetzung oder Forderung. Erschaffen, statt wissen; experimentieren statt vorlebend. Das Dämonische der Fratze sehe ich ganz auf der Seite des taktischen Moments. Die Künstlerinnen sollen an der Ästhetik der Existenz gegen sich selbst arbeiten, das eigene Gesicht uneigen machen, verzerren, umformen. Ein Werden anstreben, das nichts mehr so zurücklässt wie es vorher war. Ich fordere die Künstlerinnen auf, Fratzen herzustellen, Fratzen der Kunst, hässliche Fratzen, die den Kunstmarkt unterlaufen, die Valorisierung umgehen, neue Formen finden. «Fliehen ja, doch im fliehen eine Waffe suchen» und die Waffe muss schlagkräftig sein. Ich möchte die Fratze bejahen, als Form des Widerstands gegen das Kunstbürgertum mit ihren Ängsten um den Verlust der Privilegien, um ihr Herrschaftsgebiet, das geflohen werden soll.
Anhang:
Eine persönliche Berichterstattung kann Einblicke liefern, wie es sich mit Künstlerinnen verhält, die versuchen die Konventionen zu brechen oder die Akzeptanz-Grenzen zu verschieben. Ein Kunsthochschul-Campus bildet die Kunst-Elite der Zukunft aus, ihr Kapital ist der Standort-Kampf der Global Citys und ihr Ruf ist die der gut eingegliederten ehemaligen Studentinnen in den lukrativen Kunstmarkt. Dazwischen ist der Versuch Künstlerinnen-Subjekte zu erschaffen, die quer stehen, eigene Wege gehen, dies aber bitte nur für den Kunstmarkt tun. Brav in der verniedlichten Form der Rebellin als schräge Hipster-Künstlerin. Damit die schizoide Erwartungshaltung auch sauber eingehalten wird schreckt der Hausdienst nicht zurück vor der hässlichen Polizei, welche als Securitas und Überwachungkameras die Studentinnen kontrolliert. Passiert einmal etwas nicht ganz so geplantes, wird auch gerne auf Einsatz-Truppen der Polizei zurückgegriffen, welche die zu kreativen Studentinnen auf den rechten Platz verweist. «Wir hörten auf, über die Kunst nachzudenken, und beschäftigten uns damit, Bomben zu bauen.»1